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Samstag, 21. Dezember 2013

Das Christkind - eine Frau.

Ja. Bald ist es wieder einmal soweit.
Das Christkind kommt.
Für mich ja inzwischen schon das 57. Mal in Folge. Allerdings ein richtiges Christkind habe ich das erste Mal vor genau 53 Jahren gesehen. Dieses Christkind war gar kein Kind!

Meine Kindheit auf dem Dorf im Fränkischen Umland war ruhig. Bescheiden. Bescheiden auch die Geschenke. Die Eltern wenig Geld.
Doch! Einfälle waren dafür umso mehr angesagt. So auch beim Thema Weihnachten, vielmehr dem Christkind.

Bei vielen kommt ja seit Unzeiten der Weihnachtsmann. So einen kannten wir damals ja nicht. Außer der Bulzermärtel, Pelzmärtel genannt, welcher sich als St. Martin höflich vorstellte und einem doch ein wenig die Nackenhaare zu Berge stehen ließ, wenn seine tiefe Stimme das Hohoho ausdrückte und das auch noch lauter als die kindlichen Hörorgane das vertragen konnten.

Das Christkind war eine Frau. Eine sehr realistische. Wie ich später dann auch feststellte.

So um die vier Jahre herum war ich da. Der Heilige Abend der Geschenketag.
Da war immer viel Aufregung und Arbeit. Der Christbaum wurde vorbereitet. Vater sägte ihn meist zurecht. Denn nie passte der Stamm der Fichte in den eisernen Ständer.

Die Kugeln wie überhaupt der Baumbehang waren jedes Jahr dieselben. Nur die Kerzen wurden natürlich frisch gekauft.  Denn abgebrannte hatten den Nachteil: sie brannten einfach nicht.

Um vier Uhr nachmittags war der Baum dann startklar. Startklar für die Geschenke, welche dann unter dem geschmückten Christbaum zum Auspacken lagen.

Vorher war immer Krippenspiel angesagt. Dafür ging Mutter mit mir in die Kirche, während Vater komischerweise immer zu Hause blieb. Und wenn wir dann von der Kirche heimkamen, war das Christkind dagewesen und hatte die bunten Päckchen mitgebracht. Gesehen hatte ich es nie. Und immer war ich auch enttäuscht deswegen.

Einmal aber durfte ich es doch sehen. Das war sehr spannend. Als Mutter und ich wieder aus der Kirche kamen und ich mit Spannung darauf wartete, die Päckchen auspacken zu dürfen oder welche Geschenke es überhaupt geben würde, war an diesem Heiligen Abend doch etwas düstere Leere. Denn es gab keine Päckchen. Dafür musste ich still sein, denn es kam jemand Unerwarteter.

Es klopfte an der Wohnungstür. Meine Mutter sagte "psst! ... das ist das Christkind", und öffnete.
Ich schaute mit großen Augen und offenem Mund auf die Türe. Eine weiß gekleidete Frau mit Schleier trat in die Stube. Sie klingelte mit einem goldenen Glöckchen und fragte sehr freundlich, ob ich denn brav gewesen sei das Jahr über und ob ich vielleicht auch ein Verslein aufsagen könne.
Schüchtern nickte ich. Aus dem Kindergarten kannte ich ein paar Adventslieder.
Also sagte ich den ersten Vers von "Ihr Kinderlein kommet" auf. Mehr fiel mir auch nicht ein.

Die weiße Braut - ja, so sah sie auch aus - klingelte erneut mit dem goldenen Glöckchen und freute sich sichtlich. Dann sagte sie zu mir, dass ich das sehr gut gemacht hätte und dafür habe sie ein Geschenk für mich mitgebracht.
Sie drehte sich um und brachte etwas Länglich-Viereckig-Sperriges herein.

Ich war ganz aus dem Häuschen vor Freude. Es war eine Puppenstube. Zwei Zimmer. Eine Wohnstube mit kleinen Möbeln. Sesselchen, Tischchen und sogar ein Wohnzimmerschrank im Stil der Sechziger mit eingeklebten Büchern. Alles aus lackiertem Holz. Das zweite Zimmer nebenan war das Schlafzimmer. Mit kleinen Bettchen und einer Kommode. Zwei dazu passende Püppchen saßen auf den Sesseln. Bereit zum ... Spielen ...

Überglücklich fing ich sogleich mit dem Spielen an. Merkte kaum noch, wie das Christkind sich verabschiedete.

Der Eindruck war so enorm, dass ich auch heute noch nach fünfzig Jahren die Episode genauso lebendig vor meinen geistigen Augen sehe. So als wäre es erst gestern gewesen. So stark war dieser Eindruck - ein lebendiges Christkind zum Anschauen!

Ein paar Tage später gingen wir zu einer Verwandten. Sie wohnte ein paar Häuser weiter. Dort lag auf einer Kommode ein weißer Schleier und ich hatte sofort richtig getippt, als ich spontan zu meiner Mutter sagte: "Gell, Mama, das Christkind war die Tante Helga!", was diese natürlich sofort verneinte.

Schade. Ein weiterer Besuch des Christkinds folgte dann nicht mehr. Ich fand die Aufführung einfach wunderbar. Und als das Christkind (mein Tante Helga) an diesem Heiligen Abend, dem 24. Dezember, eintrat, glaubte ich die Sache auch wirklich und war richtig beeindruckt von dieser weißen, heiligen Frau.

Die Puppenstube hatte ein Onkel selbst gebastelt. Er war Schreiner von Beruf. Ein richtiges Prachtstück.
Wirklich schade, dass es diese Puppenstube nicht mehr gibt. Mutter hatte sie entsorgt als ich groß war.
Doch die Erinnerung an das leibhaftige Christkind, die ... ja die kann man nicht "entsorgen". Schön.


Sonntag, 17. November 2013

Trockenschwimmen einer toten Spezie

... oder SALTO MORTALE IN EINEM RESTAURANT.

Eine Makrele, eine gegrillte, bestellte ich. Einen Salatteller dazu. Lange dauerte es nicht. Eine korpulente Frau mittleren Alters, Hausfrau-Typ mit Schürze, servierte das von mir Gewünschte. Dazu ein Zitronentuch zum Säubern. Das Fischbesteck war mir noch fremd. Verwundert schaute ich auf die seltsame Form der Schneide des Messers.
Unschlüssig nahm ich die Gabel in die linke Hand. Dieses Fischmesser in die rechte.

Die Makrele sah lecker aus. Mittelbraun gegrillt auf dem Holzkohlenfeuer. Das sah man.

Meine erste Makrele!

In dem kleinen Fischrestaurant befand sich hinten, in der Ecke sitzend, noch ein Paar. Ansonsten war es menschenleer. Fast still, ruhig, keine Musik oder sonstigen Geräusche.

Unsicher schaute ich den Fisch an, wie er dalag, vor mir auf dem ovalen Teller.

"Wie isst man eigentlich einen Fisch?", flüsterte ich für mich.

Noch einmal schaute ich in die Runde. Das Paar, verliebt und mit sich beschäftigt, ansonsten kein Augenpaar, welches meine Unsicherheit in Bezug auf den Angriff der Makrele mitbekam.
Ich konnte also sorgenfrei zum frontalen Kriegszug übergehen.
Dieser äußerte sich darin, dass ich erst einmal vorsichtig die Äuglein des Fischleins in Augenschein nahm. Der Fisch offensichtlich wirklich leb-, - also wehrlos. Und alle Chancen der Welt  eröffneten sich mir spontan, den Angriff mit einem Sieg abzuschließen.

Trotzdem ... sollte ich ihm den Kopf einfach so und brutal vom restlichen Leib trennen? ... oder doch vielleicht lieber von hinten feige anschleichen? Gedanklich vollführte ich wahre Gruseltaten.

Fast hatte ich das Gefühl, der Fisch spürte mein Mitgefühl, Mitleid oder hatte schlichtweg Angst?
... irgendwie schaute er eine Nuance leidender. So fand ich jedenfalls in diesem Moment.

Dieser Moment hielt jedoch nicht lange an.
Entschlossen ergriff ich das Mordwerkzeug, rechnete mir dennoch die Angriffsfläche aus, welche ich nun mit Erfolg abzuschließen gedachte.

Mitten hinein ins Geschehen drückte ich mit einem Schwung und Druck die Gabel, folgend das seltsame Messer, welches sich offensichtlich, offenbar als Fischmesser auswies.

Es quietschte ... schrill ... ohrenbetäubend ...
... anhaltend ... meinte ich jedenfalls gefühlsmäßig, hielt auch sogleich den Atem an, und schaute in Richtung des Pärchens, um die Reaktion abzutesten. Dieses interessierte sich nur für sich und nicht die Bohne für mich und meinen toten Fisch auf dem Teller. Erleichtert atmete ich auf.

In diesem Moment - das hätte ich besser nicht getan! - wurde mir,  vielmehr dem Fisch, die spiegelglatte Fläche des Untergrunds, nämlich das Porzellan des Fischtellers, zum Verhängnis. Verhängnis in dem Sinne, dass der Fisch wie ein Wirbelwind lufttechnisch total sicher einen Salto Mortale absolvierte, der jedem Künstler in der Manege den Rang ablief.
Mit einem dumpfen Platsch auf den eiskalten Fliesen des Restaurants endete dieser jedoch abrupt und schneller als erwartet.

... meine daraufhin aufkeimende Übelkeit konnte ich fast nicht unterdrücken.

Und trotzdem: Der Fisch musste wieder auf den rettenden Teller und die Situation so schnell wie möglich bereinigt werden ... und das möglichst, ohne dass es jemand sah!

Die Serviererin beschäftigte sich am Tresen - mit dem Rücken zu mir, meinem Fisch ... und meinem Desaster; das Pärchen hatte nur Augen für sich. Eine mehr als gute Gelegenheit schnell zur Tat zu schreiten und den Fisch ans rettende Ufer, vielmehr wieder zurück auf den Tisch, den Teller, zu jonglieren, hantieren ... oder wie auch immer.

Das allerdings war leichter gesagt als getan. Den Fisch, aalglatt, obwohl es gar kein Aal war, mit der Gabel aufspießen - eine doch waghalsige Idee, denn wer weiß welches Glatteis dann wieder wartete, weshalb ich in Sekundenschnelle einfach spontan mit beiden Händen zugriff und so die Rettung vollführte - hinauf auf den Tisch, auf meinen Teller.

Da lag sie nun - die gerettete Makrele -, als wär (fast) nichts gewesen ... und! ... ungesehen der Anwesenden ... puuh ...
Ich machte gedanklich drei Kreuze!

Appetitmäßig ist mir dieser total vergangen.

Schnell stürzte ich daher die Halbe (Bier) hinunter; dazu "Prost, Mahlzeit!" flüsternd.

Ich bezahlte und verließ recht schnell das Lokal. Die Bedienung schaute zwar etwas verwundert und fragte noch fast schuldbewusst, ob es mir nicht geschmeckt hätte und ob an der Makrele vielleicht etwas nicht gestimmt hätte (?!?), was ich sogleich verneinte.

Schade eigentlich, denn die Makrele sah appetitlich aus. Trotz des Mitleids, welches sich zwangsläufig detailmäßig für die tot darniederliegende Spezie einfand.

Die nächse Mahlzeit war daher schon gepongt. Allerdings mit zuvorderer, mehr geheimerer Übung der Zerlegetechnik, um das eventuelle Trockenschwimmen einer toten Spezie von vorneherein auszuschließen.

(Eine teilwahre Begebenheit über die erste Fischmahlzeit in einem Restaurant.)